Einen Chef findet man nicht per Video-Interview | Deininger Consulting
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Einen Chef findet man nicht per Video-Interview

Um mit klarem Kurs durch die Krise zu steuern, müssen die zentralen Führungspositionen eines Unternehmens auch in der Corona-Zeit besetzt sein. Bei der Suche helfen digitale Verfahren im Executive Search durchaus, wie Thomas Deininger erläutert. Doch bei der Auswahl, so der Doyen der deutschen Headhunter, stößt die moderne Technik an ihre Grenzen.

Herr Deininger, im letzten Vierteljahr hat sich die Meeting-Kultur weltweit drastisch verändert: Videokonferenzen statt persönlicher Treffen sind bis in die Spitzen von Wirtschaft und Politik hinein etabliert worden. Das müsste für Sie die Vorauswahl von Kandidaten für die Besetzung einer Stelle doch erheblich vereinfachen, oder?

Keinesfalls! Bei einer Führungskraft kommt es zwar auch auf die formale Qualifikation an, aber weitaus stärker auf ihre Persönlichkeit. Diese kann ich viel besser und viel schneller einschätzen, wenn ich sehe, wie jemand läuft, zur Tür hereinkommt, wenn ich seine Gestik und Mimik beobachten kann. All das ist im Videochat nur unzureichend möglich, die authentische Beurteilung geht dabei verloren.

Wird die virtuelle Begegnung bei der Personalsuche also nicht zum neuen Standard?Zumindest für die Top-Ebene kann ich mir das nicht vorstellen, und zwar aus zwei Gründen: Erstens liefert das Videogespräch eben nur 40 bis 50 Prozent der erforderlichen Informationen. Und zweitens geht es bei Spitzenpositionen ja nicht so sehr um Lebenslauf-Diskussionen, sondern um das Finden gemeinsamer Perspektiven für die Zukunft. Dazu gehört beispielsweise der Einblick in vertrauliche strategische Pläne eines Unternehmens, und solche Dokumente werden auch in Zukunft niemals per E-Mail ausgetauscht werden.
 

Wie viele Gespräche benötigen Sie, um eine Position auf „C-Ebene“, also Geschäftsführung, Vorstand oder auch Aufsichtsrat, zu besetzen?

Beim Executive Search sind rund 60 bis 80 Vorkontakte nötig, um etwa 12 bis 15 mögliche Kandidaten herauszufiltern, mit denen wir im Idealfall persönliche Gespräche vor Ort führen. Das gilt nicht nur bei der Besetzung der obersten Führungsebene, sondern beispielsweise auch bei der Suche nach einem Verkaufschef. Vorgestellt werden dem Auftraggeber dann in der Regel drei Kandidaten.
 

Ist die Auswahl geeigneter Bewerber durch die Corona-Krise einfacher oder schwieriger geworden?

Zum Teil einfacher: Wenn ein potenzieller Chief Executive Officer sein Skype-Gespräch von der heimischen Gartenlaube aus führt, ist der Fall sofort klar – eine solche Haltung zeigt mangelnde Vorbereitung, würdigt nicht die Ernsthaftigkeit der Bewerbungssituation und das Interesse des Gegenübers, also des möglicherweise künftigen Arbeitgebers.

Grundsätzlich ist durch Corona die Suche zumindest mittelfristig schwieriger geworden, denn wir sprechen ja nicht gezielt diejenigen an, die gerade vor der Entlassung stehen und deshalb sofort wechselbereit wären. In unserem Fokus stehen die Potenzialträger, die eine nachhaltig bessere Karrierechance bei einem anderen Unternehmen sehen und deshalb grundsätzlich einen Wechsel erwägen. Diese agieren gegenwärtig zurückhaltender, denn viele ahnen, dass spätestens ab September der deutschen Wirtschaft noch eine Entlassungswelle droht.
 

Suchen denn angesichts der nur schwer abzuschätzenden ökonomischen Entwicklung derzeit überhaupt Unternehmen nach neuen Führungskräften?

Seit etwa acht Wochen intensiviert sich das Personalberatungsgeschäft, wobei wir zwei Tendenzen feststellen: In dringenden Fällen im Inland, wenn eine Funktion wegen Krankheit oder Pensionierung besetzt werden muss, wird straff entschieden und gehandelt. Im Fall einer Entsendung ins Ausland stagniert die Neubesetzung, vor allem auch, weil viele Zielländer noch Einreisebeschränkungen aufrechterhalten.
 

Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Zukunft der Top-Personalberatung in Deutschland?

Es wird hierzulande eine Konzentration der Kräfte geben: Kleinere Unternehmen können nur im engen Verbund oder in einer Fusion den großen, international aufgestellten Konzernen Paroli bieten. Für Deininger Consulting bin ich sehr optimistisch, da sich unsere frühe strategische Weichenstellung für eine starke Präsenz in Europa und Asien immer stärker auszahlt. So haben wir allein in den letzten Wochen vier neue Teams aufgestellt, ein fünftes wird demnächst hinzukommen, um unsere Branchentiefe weiter zu verstärken.

Veröffentlicht in:
HR-Newsguide „Making Future“
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Das Interview führte
Björn P. Böer

02.10.2020